Verbale Gewalt unter Kindern
„Ich hau dir in die Fresse!“ Dann noch mal mit einem kräftigen Ruck am Lenker gerissen und Tobi muss nicht mehr länger warten, bis Max den Roller endlich hergibt. Verbale Gewalt wirkt – laut geschrien, aber auch im Flüsterton. Und haben Sie auch den Eindruck, dass Schimpfwörter und Beleidigungen unter den Kindern zunehmen – an Häufigkeit, aber auch in ihrer Aggression?
Nutzen Sie folgende 4 Punkte, um verbaler Gewalt souverän zu begegnen. Damit stoppen Sie nicht nur Schimpfworte und Beleidigungen, sondern bringen die Kinder in ihrer gesamten Persönlichkeitsentwicklung voran.
1. Ruhe bewahren – Kinder lieben die Kraft von Schimpfwörtern
Auch wenn „Drecksau“ furchtbar klingt, wollen Kinder damit nicht zwangsläufig beleidigen. Vielmehr spüren sie, dass sie an Kraft und Stärke gewinnen, wenn sie solche Wörter benutzen. Es geht vor allem Kindern unter 6 Jahren in 1. Linie um die Wirkung dieser sprachlichen Ausdrucksform. Es geht ihnen gar nicht unbedingt um den Inhalt des Wortes!
Und darin unterscheiden wir Erwachsenen uns sehr von den Kindern. Bei einem Wort wie „Hurensohn“ reagieren wir sofort auf seinen Inhalt und ordnen ihn in die Ecke der vulgären Ausdrücke. Aber die Kinder machen sich meist keinerlei Gedanken um eine inhaltliche Auseinandersetzung, z. B. im Bereich der Sexualität. Im Gegenteil – oft genug haben Sie erlebt, dass die Kinder keine Ahnung davon haben, was das Wort bedeutet. Sie wollen Grenzen testen – und sich selbst und ihre Wirkung.
Zudem sind Kinder von Kraftausdrücken nicht nur fasziniert, sie haben eine kindliche Freude am „Schweinigeln“. Sicher ist es bei Ihnen noch nicht lange her, dass Sie bei einem altbekannten Klo-Witz in nicht mehr enden wollendes Gelächter ausgebrochen sind. Die kindliche Phantasie und ihr Humor sind oft unanständig und bewegen sich mit Freude auf schmuddeligem Gebiet.
2. Möglichst nicht beachten – schauen Sie dahinter
Deshalb müssen Sie nicht auf jedes obszöne Wort sofort eingehen, vor allem dann nicht, wenn sich gleich starke Kinder im Streit begegnen. Doch Sie kennen auch die Situation, dass das Kind fortfährt. Es scheint Ihnen zuzurufen: „Zeig mir meine Grenze!“ Kritisieren Sie dann deutlich die Wortwahl des Kindes, nicht seine Person. Werten Sie vor allem den Persönlichkeitsanteil des Kindes nicht ab, der ausprobieren und provozieren will. Denn es muss sich mit all seinen Emotionen – auch den unangenehmen – verstehen lernen. Dies gelingt Ihnen, indem Sie den aggressiven
Ausdrucksweisen z. B. mit folgenden Worten begegnen:
- „Ich ärgere mich über dieses Wort.“
- „Ich will das Wort nicht hören.“
- „Ich mag das Wort nicht!“
- „Dieses Wort tut mir weh/verletzt mich (oder andere).“
- Lassen Sie sich vor allem von Kindern in der „Warum?“-Phase nicht zu weitschweifenden Begründungen hinreißen. Denn diese wären zum einen nur schwer kindgerecht auszudrücken, zum anderen einfach unnötig. Wiederholen Sie vielmehr klar Ihre Antwort. Sie werden feststellen: So erreichen Sie die größte Wirkung.
3. Wut tut gut – keine Angst vor Aggression
Der Familientherapeut und Bestsellerautor Jesper Juul formuliert es sehr deutlich. Er wertet jedes aggressive Verhalten eines Kindes als Hilferuf, der nichts anderes sagen wolle als: „Existiert dort draußen jemand, der wünscht, meine Welt kennenzulernen, und versuchen will, das Leben aus meiner Perspektive zu erfahren? Ich fühle mich in letzter Zeit nicht gut und kann allein nicht herausfinden, was sich machen lässt!“
Verbale Attacken sind demnach in den allermeisten Fällen Anzeichen von Frustration, weil das Kind in diesem Entwicklungsstand innere Konflikte noch nicht angemessen in Sprache auszudrücken vermag. Schimpfen Sie also nicht reflexartig, weil das Kind obszöne Worte verwendet. Versuchen Sie vielmehr, ruhig, dem Kind zugewandt, aber auch entschlossen und klar zu sprechen. Beziehen Sie dabei Ihre eigenen Emotionen mit ein: „Mir gefällt es nicht, wenn du diese Worte sagst, und ich will, dass du das stoppst! Aber ich würde trotzdem gern wissen, was dich so wütend gemacht hat?“
Bleiben Sie also nicht beim Schimpfwort gleichsam an der Oberfläche, sondern sehen Sie tiefer. Stellen Sie Fragen wie „Was ist das Problem?“ und „Welche Lösung gibt es?“ So spürt das Kind seine Grenzen, aber auch sehr deutlich, dass Sie ihm zuhören und an seinem Problem interessiert sind. Es fühlt sich trotz des Konfliktes wertgeschätzt.
4. Wohin mit schlechten Gefühlen – so dürfen sie raus
Und wenn Sie das Gefühl haben, dass das Kind sich mit seinen verbalen Attacken in einem Wutanfall verliert? Dann geben Sie ihm Halt, indem Sie ihm ganz praktische Möglichkeiten aufzeigen, seine Wut wieder loszuwerden, z. B. indem das Kind
- im Flur Luftballons zertreten kann,
- eine Treppe in Ihrer Kita mit lautem Stampfen hinauf- und mit Indianerschleichen wieder hinuntersteigen darf,
- gegen einen Wutsack schlägt, der mit Schaumstoff gefüllt ist.
Wenn sich in der ganzen Gruppe eine gereizte bis aggressive Stimmung ausbreitet, laden Sie alle zu einer Kissenschlacht ein, bei der Kissenbezüge mit Luftballons gefüllt sind. Schnell löst sich die negative Atmosphäre und schlägt um in heiteres Gelächter.
Mit diesen 4 Punkten stärken Sie die Kinder in ihrem gesunden Selbstbewusstsein, ihrer sozialen Kompetenz und ihrer Empathie. Womit könnten Sie verbaler Gewalt und Aggressionen effektiver vorbeugen?
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