Wenn Kinder ohne Vater aufwachsen müssen
Auch heute müssen Kinder aus verschiedensten Gründen oft ohne Vater aufwachsen. Kindererziehung und Hausarbeit sind noch immer überwiegend Aufgaben der Mütter. Auch in der weiteren Erziehung der Kinder tauchen kaum Männer auf. Wie Sie sicher bestätigen, arbeiten in Kindertagesstätten kaum Männer und diese Tendenz setzt sich auch in der Grundschule fort. Dies hat zur Folge, dass Kinder in einer von Frauen beherrschten Umgebung aufwachsen und oft nur wenige intensive Kontakte zu Männern haben.
Der Vater ist in seinem Beruf meist so eingebunden, dass er für seine Kinder nur selten erreichbar ist. Durch die immer größer werdende Zahl der Ehescheidungen gibt es immer mehr allein erziehende Eltern (meistens Mütter).
Es gibt verschiedene Gründe, wenn Kinder ohne Vater aufwachsen
Im Wesentlichen gibt es 3 Gründe für die Abwesenheit der Väter, die sicherlich oft alle zusammentreffen:
1. Vater als Ernährer der Familie
Ein Hauptgrund für die Abwesenheit von Vätern liegt sicherlich in den ökonomischen Notwendigkeiten begründet. Weil der Mann in der Regel mehr verdient als die Frau, übernimmt die Frau die Erziehung der Kinder und der Vater bleibt der Ernährer der Familie. Gesetzlich ist geregelt, dass der Mann Elternzeit für sein Kind in Anspruch nehmen kann. Dies leistet jedoch keinen Beitrag zur Anwesenheit des Vaters in der Familie, wenn gleichzeitig die wirtschaftliche Versorgung der Familie nicht mehr gesichert ist.
In unserer Gesellschaft fehlen also die arbeitsrechtlichen Voraussetzungen in Verbindung mit den wirtschaftlichen, die es einer größeren Zahl von Vätern ermöglichen würde, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen.
2. Das mangelnde Vertrauen der Mütter in die Fähigkeiten des Väter
Ein 2. Grund für die Abwesenheit der Väter liegt im Verhalten mancher Frauen. Sie belehren die Väter ständig und nehmen ihnen ihre Vaterrolle somit ab: So darf der Vater das Kind nicht mehr baden, weil die Mutter das eh viel besser kann. Das kann schnell zu einem Teufelskreis für die Väter werden. Manche Mütter nehmen die Väter nicht ernst, die Väter werden dadurch noch unsicherer, als sie es ohnehin schon sind. Die Folge davon ist, dass die Väter sich frustriert von ihren Kindern zurückziehen und das Feld den Müttern überlassen.
3. Die Definition der Vaterrolle
Ein 3. Grund liegt in der Unsicherheit vieler Männer, wie die Vaterrolle heute definiert wird. Viele Väter suchen nach neuen Orientierungen. Sie wollen nicht so werden wie ihre eigenen Väter. Sie müssen jedoch feststellen, dass sie fast so geworden sind. Dies stellt die Männer vor die Aufgabe, sich von bestehenden Rollenzwängen zu befreien und ihre Rolle selbst neu zu definieren. Heutzutage ist eine männliche Identität gefragt, die sich ausdrückt durch
- soziale Kompetenz,
- Sensibilität,
- Ausdrucksfähigkeit in ihren Gefühlen,
- ein Selbstbewusstsein, das der eigenen Person entspringt und eigene und andere Wünsche und Grenzen wahrnimmt und schützt.
Kinder brauchen ihre Väter
Die Anwesenheit des Vaters ist für die Kinder sehr wichtig. Er nimmt in ihrem Leben eine wichtige Rolle ein. Wie soll ein Kind sich mit seinem eigenen Vater identifizieren, sich mit ihm auseinander setzen oder sich von ihm abgrenzen, wenn er nicht da ist? Bei einem abwesenden Vater fehlt der gleich- oder gegengeschlechtliche Spiegel, der für die Identifikation mit dem eigenen Geschlecht notwendig ist.
Der Begriff „abwesende Väter“ hat hier eine sehr weit gefasste Bedeutung. Abwesende Väter sind nicht nur solche, die körperlich nicht anwesend sind, z. B. weil sie arbeiten müssen. Vielmehr zählen dazu auch die Väter, die geistig und emotional abwesend sind. Der Begriff ist ebenfalls auf Väter bezogen, die zwar körperlich anwesend sind, aber ein inakzeptables Verhalten an den Tag legen: autoritäre Väter z. B., die ihre Kinder unterdrücken und deren Selbstbestätigung verhindern. Oder alkoholkranke Väter, die auf Grund ihrer emotionalen Instabilität ihre Kinder in einen Zustand ständiger Unsicherheit versetzen.
Väter bekommen ein Übergewicht, wenn sie zur Rarität werden. Sie werden entweder zum begehrten Objekt, verunsichern oder haben keinerlei Bedeutung im Leben der Kinder. Für ein Kind ist ein warmherziger, liebevoller Vater optimal. Das Fehlen des Vaters führt dagegen nicht selten zu einem unklaren Männerbild und einem überzogenen Männlichkeitsideal. Auf Grund der Abwesenheit des Vaters haben Kinder oft nur unklare Männerbilder.
So wird z. B. bei Rollenspielen im Kindergarten die Rolle des Vaters oft gar nicht besetzt. Kommt der Vater im Spiel vor, ist seine Rolle nur unklar definiert: Der Papa geht zur Arbeit und kommt am Abend wieder. Das undeutliche Bild vom Vater wird dann gefüllt mit abstrakten Verhaltenserwartungen, Fantasien und Medienvorbildern. Ein Männerbild mit allen Ecken und Kanten, allen Stärken und Schwächen zeigt sich den Kindern nur selten.
Denn je größer die räumliche Distanz beziehungsweise je länger die zeitliche Trennung vom Vater, desto größer ist die Gefahr der Entfremdung des Vaters von der Familie einerseits und die seiner Idealisierung andererseits.
Folgen des Vatermangels für die Kinder
Wenn der Vater als Identifikationsfigur fehlt, fällt vor allem den Jungen das Finden der eigenen Geschlechtsrolle schwer. Die Signatur eines fehlenden Vaters ist die zerbrechliche männliche Identität seines Sohnes.
Viele Jungen können sich nur in Abgrenzung zu Frauen und unter dem Urteil von Frauen als kleine Männer definieren. Die Abgrenzung von allem Weiblichen und die Demonstration, in allen Bereichen besser zu sein als Mädchen, gelten den Jungen als Beweis von Männlichkeit. Schwächen können sich viele Jungen in keiner Situation zugestehen.
Auch wenn im Kindergarten überwiegend Frauen arbeiten, können Sie die Benachteiligungen, die sich für Kinder durch die weibliche Dominanz ergeben, zumindest mindern. Lesen Sie im Folgenden, welche Veränderungen notwendig sind
- in der Zusammenarbeit mit den Eltern und insbesondere den Vätern,
- in der Arbeit mit den Kindern,
- in Bezug auf Ihre Rolle als Erzieherin.
Machen Sie den Eltern die Bedeutung der Väter klar
Die Integration der Väter in das Kindergartengeschehen ist für Ihre Arbeit sehr wichtig. Vor allem sollten Sie regelmäßige Angebote für die Väter machen, damit sie ihre Kinder über die gesamte Kindergartenzeit hindurch begleiten können. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass Sie den Eltern die Bedeutung der Väter für Kinder verdeutlichen.
Hierfür bietet sich ein Elternabend an, zu dem Sie nicht „nur“ die Väter einladen. Denn die Mütter können mit ihrem eigenen Verhalten viel dazu beitragen, dass Väter sich mehr in das Familienleben einbringen. Dazu müssen sie ihre Männer in ihren Bemühungen unterstützen, anstatt sie häufig zu kritisieren.
Mädchen wird durch das Fehlen der Väter die Abgrenzung zum anderen Geschlecht erschwert. Um eine größere Distanz zur Mutter aufbauen zu können, muss der Vater für seine Tochter verfügbar sein. Der Vater hat die Aufgabe, die weibliche Identität seiner Tochter zu bestätigen und ihr zu einem eigenen weiblichen Selbstkonzept zu verhelfen.
Wenn Sie den Eltern dies vermitteln, wird die Bereitschaft der Väter, sich stärker um ihre Kinder zu kümmern, wachsen.
Gewähren Sie den Kindern Einblick in die Männerwelt
Zum einen können Sie einiges dazu beitragen, dass die Kinder mehr Zeit mit ihren Vätern verbringen. Dazu bieten Sie Vater-Kind-Veranstaltungen an, wie z. B. ein Abendessen oder Veranstaltungen für die ganze Familie.
Zum anderen können Sie vieles dafür tun, dass auch im Kindergarten die Männerwelt präsenter wird, auch wenn „nur“ Erzieherinnen dort arbeiten:
- In vielen Einrichtungen gibt es einen Hausmeister oder einen netten Opa, der sich um die Belange des Kindergartens kümmert. Sprechen Sie mit Ihrem Hausmeister, ob er z. B. an Ihrem Stuhlkreis teilnimmt, um den Kindern von seiner Arbeit zu berichten, ob die Kinder ihm bei der Arbeit zuschauen oder mithelfen dürfen.
- In konfessionellen Einrichtungen gibt es den Pfarrer. Beschränken Sie den Kontakt nicht auf die kirchlichen Feste, sondern bemühen Sie sich darum, dass der Pfarrer regelmäßig zu den Kindern kommt.
- Möglicherweise gibt es in Ihrer Gemeinde / Kirchengemeinde einen Zivildienstleistenden, der ab und zu in den Kindergarten kommen kann, um mit den Kindern zu spielen.
- Setzen Sie gezielt Bilderbücher ein. Inzwischen gibt es etliche Bücher, die – weg von alten Rollenklischees – sowohl Mütter als auch Väter entsprechend heutigen Lebenswirklichkeiten in verschiedenen Lebenssituationen in unterschiedlichen Rollen darstellen:
- Meir Shalev: Papa nervt Diogenes Verlag, Zürich 1994, 14,9 €. In dem Buch wird der Alltag einer Familie geschildert, in der die Mutter Fernsehansagerin und der Vater Hausmann ist. Der Vater schreibt nächtelang Gedichte und Geschichten und nervt seine Umgebung. Jedenfalls aus der Perspektive des 5-jährigen Jonathans, der das Verhalten seines Vaters blamabel findet. Besonders wenn er beim Kindergartenausflug verloren geht, beim Elternabend einschläft oder seinen Sohn laut singend zum Kindergarten begleitet und ihm überdies noch einen Abschiedskuss abnötigt.
Die Vaterrolle verstehen
Damit die Kinder sich ein Bild davon machen können, was ihr Vater den Tag über macht, besuchen Sie mit den Kindern einige Väter an ihrem Arbeitsplatz. Den Kindern wird es dann bei ihren Rollenspielen leichter fallen, die Vaterrolle zu besetzen und auszufüllen.
Achten Sie darauf, dass Ihre Verkleidungsecke auch Möglichkeiten für männliche Rollen bietet. Auch sollten die Kinder einen Werkstattbereich haben, wo sie wie der Elektriker den kaputten Toaster reparieren können.
Lassen Sie den Jungen ihre Waffen und Pistolen. Diese versprechen den Jungen scheinbare Unverwundbarkeit und überdecken damit das Fehlen der eigenen Identität. Ohne ihre Waffen fühlen sich die Jungen schutzlos und ohnmächtig. Wenn Jungen Selbstsicherheit erworben haben, werden sie die Waffen von selbst aus der Hand legen. Die Selbstsicherheit können Sie fördern, indem Sie den Jungen immer wieder das Gefühl geben, dass es gut ist, dass sie da sind. Nehmen Sie die Jungen mit ihren Stärken und Schwächen an und verhelfen Sie ihnen zu Erfolgserlebnissen.